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Donnerstag, 23. Juni 2022

"Die Musik ist ein moralisches Gesetz. Sie schenkt unseren Herzen eine Seele, verleiht den Gedanken Flügel, lässt die Phantasie erblühen." Platon (angeblich)

Pseudo-Platon-Zitat.

 Das Zitat "Musik ist ein moralisches Gesetz ..." ist in Platons Schriften weder so noch so ähnlich gefunden worden: es ist also ein Kuckuckszitat.

Das falsche Platon-Zitat scheint auf Englisch auf den englischen Banker, Politiker, Botaniker und Biologen Sir John Lubbock, der auch mit Charles Darwin befreundet war, zurückzugehen.

 Sir John Lubbock setzte 1889 dieses angebliche Platon-Zitat als Motto vor dem Kapitel "Music" des zweiten Bandes seines victorianischen Bestsellers "The pleasures of life":

1889

  • "'Music is a moral law. It gives a soul to the universe, wings to the mind, flight to the imagination, a charm to sadness, gaiety and life to everything. It is the essence of order, and leads to all that is good, just, and beautiful, of which it is the invisible, but nevertheless dazzling, passionate, and eternal form.' — Plato." (Link)
John Lubbock könnte dieses Zitat in einem französischen Buch gelesen haben, in dem die Autorin Adélaïde-Louise d’Eckmühl de Blocqueville 1874 Unterhaltungen in ihrem berühmten Salon dokumentiert hat: 
 
1874 
  • "La musique est une loi morale. Elle donne une âme à l'univers, des ailes à l'esprit , l'élan à l'imagination , le charme à la douleur, la joie et la vie à toute chose. Elle en est la forme invisible et pourtant éblouissante, passionnée , fugitive, éternelle. PLATON"

    Adélaïde-Louise d’Eckmühl de Blocqueville: "Les soirées de La Villa des Jasmins"  (Link)

In diesem Salon scheint man das Zitat des Journalisten Bertrand Robidou mit einem Zitat Platons das erste Mal verwechselt zu haben. 

Bertrand Robidou schrieb in seiner Studie zum Vergleich von Platons Staatsvorstellung mit modernen Staaten unter dem Titel: "La république de Platon: comparée aux idées et aux etats modernes":

1869

  • "Mas la musique est sourtour une loi morale. Elle donne une âme à l'univers, des ailes à l'esprit, l'élan à l'imagination, le charme à la douleur, la joie et la vie à toute chose; elle est l'essence de l'ordre, elle conduit vers ce qui est bien, juste et beau, elle en est la forme invisible et pourtant éblouissante, passionnée, fugitive, éternelle. "
    Bertrand Robidou (Link)

     "Aber Musik ist vor allem ein moralisches Gesetz. Sie verleiht dem Universum eine Seele, dem Geist Flügel, gibt der Phantasie Impulse, dem Schmerz Charme sowie Freude und Leben für alles; sie ist die Essenz der Ordnung, sie führt zu dem, was gut, gerecht und schön ist, und ist seine unsichtbare und doch schillernde, leidenschaftliche, flüchtige, ewige Form."

 

Im englischen Sprachraum ist das Falschzitat außerhalb der akademischen Literatur zu Platon sehr weit verbreitet, im deutschen Sprachraum scheint dieses französisch/englische Pseudo-Platon-Zitat erst im 21. Jahrhundert angekommen zu sein.

  • "Musik ist ein moralisches Gesetz, sie schenkt dem Universum seine Seele, den Gedanken die Flügel, der Vorstellung ihren Weg und Heiterkeit und Fröhlichkeit dem gesamten Tun."

Und auf Deutsch schenkt die Musik in manchen Zitaten  nicht dem "Universum" eine Seele, sondern "unseren Herzen", was in Bezug auf Platon unsinnig klingt, da es impliziert, Platon habe gemeint, ohne Musik hätten wir keine Seele:

Pseudo-Platon-Zitat.

  • "Die Musik ist ein moralisches Gesetz. Sie schenkt unseren Herzen eine Seele, verleiht den Gedanken Flügel, lässt die Phantasie erblühen." (Link)

Dass das Universum mit der Musik und unsere Seele zusammenhängt, ist ein pythagoräischer Gedanke.

Musik und die musischen Künste waren im Platonischen Erziehungsideal so wichtig wie die Gymnastik, wozu Platon auch Tanzen, Reiten, Bogenschießen und Ringen zählte.

Musik war nach Platon Nachahmung, und nur dorische und phrygische Musik, die erstrebenswerte Eigenschaften vertonten, sollten aus Mädchen und Buben gute Bürger machen und zur Besonnenheit führen. 

Musik, die anderen Zwecken diente, wollte Platon in seinem idealen Staat bekanntlich verbieten lassen.


Platon über Musik als Mittel der Erziehung:

  • "Beruht nun nicht eben deshalb, o Glaukon, sagte ich, das wichtigste in der Erziehung auf der Musik, weil Zeitmaß und Wohlklang vorzüglich in das Innere der Seele eindringen, und sich ihr auf das kräftigste einprägen, indem sie Wohlanständigkeit mit sich führen, und also auch wohlanständig machen, wenn einer richtig erzogen wird, wenn aber nicht, dann das Gegenteil?" (Link)
  • "Dort nun erzeugte uns die Künstelei Ungebundenheit und hier Krankheit, die Einfachheit aber der Musik Besonnenheit in der Seele, und der Gymnastik Gesundheit im Leibe." (Link)
  • "Wer also Musik und Gymnastik am schönsten mischt, und im reichlichsten Maß der Seele beibringt, den würden wir wohl am richtigsten für den vollkommen musikalischen und wohlgestimmen erklären, weit mehr als den, welcher die Saiten gut gegen einander zu stimmen weiß." (Link)

 

 Das Pseudo-Platon-Zitat ist aus einer Verwechslung entstanden, wie das bei Falschzitaten öfters vorkommt: 

Ein Satz, der Gedanken einens Autors interpretiert, wird irrtümlich dem Autor untergeschoben.

 

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Quellen: 
Platon: "Der Staat." Deutsch von Gernot Krapinger, Reclam Verlag, Stuttgart: 2017, III, 12, III, 404, III 412
Platon: "Der Staat" Deutsch von August Horneffer. Eingeleitet von Kurt Hildebrandt, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart: 1973
Denise Grocke:  "Music is a moral law" – A Quotation from Plato?. (2006) Voices Resources. Retrieved January 08, 2015 (voices.no)
en.wikiquote.org/ : Noch ohne Hinweis auf den französischen Ursprung des Kuckuckzitats.
 
1869: Bertrand Robidou: "La république de Platon: comparée aux idées et aux etats modernes."  Librairie Internationale, Paris: 1869, S. 53f. (Link)  
1874: Adélaïde-Louise d’Eckmühl de Blocqueville: "Les soirées de La Villa des Jasmins", Tome 3, Librairie Académique, Paris: 1874, S. 107    (Link) 
1889: Sir John Lubbock: "The pleasures of life." Part II, Macmillan, London, New York: 1889, S. 120  (Link)

1892: (archive.org/)  

1913: The Etude, 1913, S. 745 (archive.org)

 

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Dank:

Ich danke Kurt Fischer für die Frage nach dem Zitat, sowie Denise Grocke und den Wikiquote-Mitarbeiter:innen für ihre Recherchen.